"Barbie" und Feminismus: Leuchtreklame für die gute Sache (2024)

Viele Beobachterinnen sehen mit Greta Gerwigs "Barbie" das Ende des Feminismus gekommen. Wer daran glaubt, hat nicht nur den Film falsch verstanden.

Von Julia Lorenz

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Karl Lauterbach wird sich Barbie nicht anschauen, schreibt er auf Twitter. Man weiß nicht, was den Bundesgesundheitsminister zu so viel kühler Verachtung im aktuellen, ebenfalls auf Twitter lückenlos dokumentierten Hitzeurlaub führt. Aber vielleicht waren es ja einige Filmkritiken, die ihm in die Timeline gespült wurden. Greta Gerwigs Puppenkomödie mit echten Menschen sei ein einziger großer Ausverkauf, hieß es längst nicht in allen, aber doch auffällig vielen Kommentaren. In der Süddeutschen Zeitung bedauerte Johanna Adorján sogar den von Barbie verschuldeten Sieg des Kapitalismus über die gerechte Sache.

Solcher Ärger ist erstaunlich. Als hätte man etwas anderes erwartet, als gäbe es etwas zu enttarnen an einem Blockbuster, der auch als solcher vermarktet wird. Der Film beschreibt, im Zusammenspiel mit dem Marketing- und Mediengedöns, das ihn seit Monaten umrauscht, das logische Ende einer Entwicklung: Die Spielzeugpuppe Barbie, die schon ein girlboss war, als dieser Begriff noch nicht erfunden war, tritt hinaus aus den Kinderzimmern und hinein in eine Welt, in der ihresgleichen seit Jahren der rosarote Teppich ausgerollt wird, von Popstars und Politikerinnen, von Werbefiguren, Designerinnen und auch von Greta Gerwig, der Regisseurin des Films.

In der Komödie Frances Ha spielte Gerwig, die auch Co-Autorin des hinreißenden Films war, vor zehn Jahren eine New Yorkerin in ihren Zwanzigern, die sich eine Wohnung mit ihrer besten Freundin teilt und vor lauter ziellosem Herumleben erst Zeit für einen Zahnarztbesuch findet, wenn sie mal ihre Eltern besucht. Dieselben Frauen, die damals im Kino lachten und heulten, weil da endlich mal jemand ihre großen kleinen Millennialsorgen verfilmt hatte, fanden in der Regel auch Lena Dunhams Serie Girls prima. Die funktionierte wie eine garstige Inversion von Sex and the City: Die toll gekleideten Großstadtheldinnen bekamen hier selten ihren "Mister Big", dafür aber Geschlechtskrankheiten und nervöses Augenlidzucken bei unzumutbaren Tätigkeiten (Texte schreiben, mit Menschen sprechen). Ein wachsendes Publikum interessierte sich für Geschichten über vermeintlich unperfekte Frauen, die mehr im Sinn hatten als Männer, nämlich ihre besten Freundinnen, ihr psychisches Wohlergehen, vielleicht ein bisschen Karriere und Lebensglück, und, na ja, schon auch Männer.

Bald aber wurden die Gesten größer, die Inszenierungen (angeblich) widerständiger Weiblichkeit glamouröser. Popfeminismus zeichnete sich in den Zehnerjahren durch Eigenschaften aus, die man seinen Vertreterinnen noch heute gern abspricht: Zugänglichkeit und Umgänglichkeit. Die Schauspielerin Emma Watson, vor allem durch die Harry-Potter-Reihe bekannt, trat 2014 als Fürsprecherin des Feminismus vor die Vereinten Nationen, Beyoncé im selben Jahr bei den MTV Video Music Awards vor einem illuminierten Schriftzug des Wortes "Feminist" auf: Leuchtreklame für die gute Sache. Eine der Heldinnen dieser Hochzeit des Popfeminismus, die Sängerin Lizzo, verkauft einem wundervolle Soulsongs über die Liebe zum eigenen dicken Hintern – und praktischerweise auch noch Shapewear, die ebendiesen in Form quetschen soll.

Politische Ideen als Waren

Greta Gerwigs Barbie geht mit ihren Widersprüchen zumindest transparent um. In einer Szene weint Barbie bittere Tränen, weil sie sich nach einem Zusammenbruch nicht mehr schön und perfekt fühlt. Bevor man sich darüber ärgern kann, dass die Schauspielerin Margot Robbie auch in Barbies schlimmster Lebenskrise noch zum Niederknien gut aussieht, wird ein Disclaimer eingeblendet: Natürlich sei Robbie die falsche Besetzung, um eine solche Szene realistisch wirken zu lassen. Das ist ein sicher neunmalkluges, aber doch tolles Detail für ein Zielpublikum, das gewohnt ist, von zart verheulten Influencerinnen selbst beim Sprechen über deren body issues und mental health noch irgendetwas verkauft zu kriegen.

Verkaufen wollen natürlich auch die Spielzeugfirma Mattel und das Filmstudio Warner Brothers, die für den Barbie-Hype viel Geld ausgegeben haben, allerhand pinkfarbenen Plunder. Ihr Barbie-Feminismus tut gar nicht erst so, als wäre er kein Produkt, ganz im Gegenteil: Der Film reflektiert seine eigenen Verkaufsabsichten artig selbst. Er verdeutlicht aber auch, dass man sich mit den großen, bösen, meist männlichen Geldgebern gemein machen muss, um eine Feminismusrevue aufführen zu können, wie sie noch vor nicht allzu langer Zeit kaum vorstellbar war: spaßig, nie bedrohlich und anschlussfähig auch für alle, die nicht mit marxistischen Standardwerken im Wohnzimmerregal aufgewachsen sind. Barbie ist der vorläufige Höhepunkt der Demokratisierung und Kommerzialisierung des Feminismus, im besten Falle eine Art augenöffnendes Moment. Denn ehrlicher als Gerwig, Mattel und Warner kann man mit der Warenförmigkeit von politischen Ideen kaum umgehen.

Wer in Barbie nun den Sieg des Kapitalismus über die gute Sache sieht, verkennt das uralte Problem des Popfeminismus: Jeder Versuch, Pop etwas Revolutionäres abzuringen oder Subversives massentauglich zu gestalten, muss den eigenen Ausverkauf mitbedingen. Schon in den Neunzigern führten die Spice Girls mit ihrer ebenso zupackenden wie niedlichen girl power weiter, was die viel radikaleren Riot Grrrls einige Jahre zuvor im Underground der US-amerikanischen Rockmusik begonnen hatten. Auch Greta Gerwigs feministische Barbie steht auf den Schultern von Gigantinnen, die im popkulturellen Mainstreamgedächtnis keine sind. Wäre ja schön gewesen, hätte Barbie ihrem Ken auch einmal nahegelegt, Judith Butler zu lesen oder bell hooks. Aber das hätten viele, jede Wette, schon wieder unehrlich gefunden.

Bedient sich Pop auf seinen größten Bühnen subversiver Zeichen, macht er sich immer der Ausbeutung verdächtig. Wenn sich eine Multimillionärin wie Beyoncé bei einem Auftritt im Stil der marxistischen Black-Panther-Bewegung verkleidet, wenn Lizzo von Selbstakzeptanz singt und Shapewear verkauft oder die Traumfrau Barbie die Qualen der eigenen Perfektion beweint, kann man ewig darüber debattieren, ob solche Popmomente unbedarfte Konsumentinnen politisieren können – oder ob sie ein wohlfeiles, folgenloses Spiel mit radical chic und radikalen Ideen bleiben. Das Tolle an diesen radikalen Ideen ist ja: Sie sind auch ohne massenkulturelles Begleitgetröte erhältlich. Man findet sie in Büchern, auf kämpferischen Konzerten jenseits großer Arenen, auf Demonstrationen und in Gesprächen mit Freundinnen und Mitstreitern, die das Gefühl teilen, dass so einiges schiefläuft in der Welt. Barbie muss den Weg in diese Richtung nicht verstellen, sondern kann ihn womöglich sogar ebnen. Nicht nur für Gesundheitsminister im Italien-Urlaub.

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